In einem entscheidenden Aufruf zur Veränderung hat der ehemalige finnische Präsident Sauli Niinistö die Europäische Union aufgefordert, einen „vollwertigen Geheimdienstkooperationsdienst auf EU-Ebene“ zu etablieren. Seine Empfehlung folgt einem umfassenden Bericht über die Bereitschaft der EU für Krisen und Kriege, der von der Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, angefordert wurde. Der Bericht kommt zu einem Zeitpunkt, an dem Europa zunehmenden Bedrohungen durch ausländische Akteure, insbesondere aus Russland, ausgesetzt ist, dessen Agenten weiterhin die EU-Grenzen infiltrieren.
Russlands aggressive Taktiken haben Unruhe in der EU gestiftet – von Spionage bis zu Sabotageversuchen an kritischen Infrastrukturen. Um diesen Risiken entgegenzuwirken, befürwortet Niinistö den Vorschlag für eine zentrale EU-Geheimdienstagentur, die in der Lage ist, strategische und operative Geheimdienstinformationen aus den Mitgliedstaaten zu integrieren. „Wir müssen einander vertrauen“, erklärte Niinistö und forderte ein System zur Rationalisierung der Geheimdienste und zur Bekämpfung der fragmentierten Verteidigungsmaßnahmen innerhalb des Blocks.
Warum jetzt? Eine Antwort auf eskalierende Bedrohungen
Der Vorstoß für eine EU-Spionageagentur unterstreicht die wachsenden Sicherheitsbedenken in Europa, da sich Moskaus Krieg in der Ukraine weiter eskaliert. Russische Agenten wurden dabei beobachtet, wie sie Militärübungsstätten überwachten, Versuche zur Ermordung von Schlüsselpersonen der Waffenindustrie unternahmen und sogar Unterwasserkommunikationsleitungen angriffen. Die schiere Breite der Bedrohungen hat Schwächen im kollektiven Sicherheitsrahmen Europas aufgezeigt, wobei einige Hauptstädte nicht in der Lage sind, unabhängig auf zunehmend komplexe Operationen zu reagieren.
Brüssel, das Hunderte von Institutionen und Botschaften beherbergt, ist zu einem Hotspot für Spionage geworden, wobei in den letzten Jahren zahlreiche Diplomaten wegen angeblicher Spionagetätigkeiten ausgewiesen wurden. Niinistös Plan sieht auch ein „Anti-Sabotage-Netzwerk“ vor, um die wesentliche Infrastruktur der EU zu schützen, und unterstreicht die dringende Notwendigkeit, die „Gegenspionagearbeit in den EU-Institutionen zu verbessern.“ Dies, so argumentiert er, ist entscheidend, um zu verhindern, dass feindliche ausländische Akteure in die EU-Politik und -Institutionen eindringen und Einfluss nehmen.
Die Hindernisse: Zögerlichkeit der Mitgliedstaaten
Trotz des Aufrufs zu einer einheitlichen Geheimdienstagentur gibt es erhebliche Widerstände unter den EU-Mitgliedstaaten, von denen viele die Kontrolle über nationale Geheimdienstoperationen behalten möchten. Die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, erkannte selbst die Herausforderung an und erklärte: „Die Informationsbeschaffung liegt in erster Linie in der Verantwortung der Mitgliedstaaten.“ Sie betonte jedoch die Notwendigkeit eines verbesserten Datenflusses und Informationsaustauschs zwischen den Nationen, was nach wie vor ein Grundpfeiler von Niinistös Vorschlag ist.
Die Five Eyes-Allianz, ein langjähriger Geheimdienst-Austauschpakt zwischen den Vereinigten Staaten, dem Vereinigten Königreich, Kanada, Australien und Neuseeland, dient als potenzielles Modell. Während es unwahrscheinlich ist, dass die EU ein eigenes globales Spionagenetzwerk aufbaut, weist Niinistö auf die Vorteile hin, Geheimdienstressourcen zu bündeln, um der Größe und Reichweite des Blocks gerecht zu werden.
Ein Befestigtes Europa Aufbauen
Neben einer EU-Spionageagentur hat Niinistö auch für ein EU-Vorbereitungsgesetz plädiert, das „Prinzipien, Standards und Ziele“ für koordinierte Verteidigungs- und Sicherheitsinitiativen in den Mitgliedsländern festlegen würde. Diese Gesetzgebung zielt darauf ab, die Resilienz der EU gegen Cyber-Bedrohungen, Naturkatastrophen und Kriegsakte zu stärken, indem die Kapazität jedes Landes zur Krisenbewältigung vereinheitlicht und gestärkt wird. Niinistö hob das Defizit der Cybersicherheit in dem Block hervor und stellte einen Mangel von fast einer Million Cybersicherheitsexperten fest.
Die Empfehlungen in Niinistös Bericht kommen zu einem Zeitpunkt, an dem von der Leyen sich auf ihre zweite Amtszeit vorbereitet, die die Ernennung des ersten Verteidigungskommissars der EU umfassen wird. Diese neue Rolle wird die Erstellung eines Weißbuchs zur Verteidigung beinhalten, das bis zum Frühjahr 2025 fällig ist und behandelt, wie Europa auf wachsende Bedrohungen reagieren und seine Verteidigungsfähigkeiten konsolidieren kann.
Während Europa Niinistös Vision eines vereinigten Geheimdienstes in Betracht zieht, bleiben die Einsätze hoch. Angesichts von Bedrohungen vor der Haustür und dem Krieg in der Ukraine, der noch lange nicht vorbei ist, könnte der Weg der EU in die Zukunft davon abhängen, wie schnell sie ihre Geheimdienstbemühungen vereinheitlichen kann. Wird der Kontinent bereit sein, sich diesen Bedrohungen zu stellen, oder wird nationale Zurückhaltung die EU anfällig für die Schattenagenten machen, die sich bereits in ihrem Umfeld befinden?
Quellen für diesen Artikel sind Aussagen von europäischen Beamten und Einzelheiten aus Sauli Niinistös Bericht zur Sicherheitsbereitschaft der EU.